Daten zur Verwendung des für die Behandlung des metastasierten Brustkrebses zugelassenen Medikamentes Trastuzumab (Herzeptin®) in der Behandlung der frühen Brustkrebserkrankung sind derzeit nicht ausreichend, um eine Therapieentscheidung zu treffen
Gestern stieß die britische
Gesundheitsministerin Patricia Hewitt eine öffentliche Debatte an über die
sofortige Bereitstellung des Medikamentes Herzeptin für die Patientinnen mit
frühem Brustkrebs. Allerdings ist die heute verfügbare Evidenz über die
Effektivität und Sicherheit von Herzeptin bei frühem Brustkrebs bisher
unzureichend für eine verlässliche Bewertung, stellt ein Editorial der
Zeitschrift LANCET online (veröffentlicht heute, am 9.11.2005) fest. Dem
Nationalen Institute für Gesundheit und Klinische Exzellenz (NICE) sollte
genügend Zeit für die Bewertung der Datenlage eingeräumt werden und es sollte
externem Druck widerstehen, wie dringlich und gut gemeint dieser auch immer
ausgeübt werde, sagt der LANCET.
Die Studien zur Anwendung
des Herzeptins bei frühem Brustkrebs wurden kürzlich im New England Journal of
Medicine (NEJM) veröffentlicht. Ein begleitendes Editorial verkündete, dass
Herzeptin „vielleicht sogar die Heilung“ für Brustkrebs sei. Allerdings sind
die zwei Studien Beispiele für Zwischen-Analysen der Effektivität
(interim-efficacy analyses), eine Methode der Auswertung, die mit überhöhter
und nicht plausiblen Behandlungseffektivität einhergehen kann. Eine
Übersichtsarbeit im amerikanischen Ärzteblatt der letzten Woche (Journal of the
American Medical Association JAMA) empfiehlt, dass „Ärzte die Ergebnisse
solcher vorläufigen Studien mit großer Skepsis betrachten sollten“. Der LANCET
weist außerdem darauf hin, dass in den zwei Studien unterschiedliche
Verabreichungen verwendet wurden, was die Vergleichbarkeit und
Schlussfolgerungen schwierig macht. Die Vergleichbarkeit ist darüber hinaus
erschwert durch das Weglassen von entscheidenden Daten zum gesamten und
krankheitsfreien Überleben und über die Kardiotoxizität.
Der LANCET kommt zu dem
Schluss, dass: „das Beste, was über die Wirksamkeit und Sicherheit von
Herzeptin in der Behandlung des frühen Brustkrebses gesagt werden kann, ist,
dass die heute verfügbare Evidenz ungenügend ist, um eine verlässliche
Bewertung vorzunehmen. Es ist mehr als irreführend zu suggerieren, auch wenn
rein rhetorisch, dass die publizierten Daten den Beweis dafür liefern, dass
hier eine Heilung für Brustkrebs gefunden wurde....Zulassungsbehörden und
Institutionen wie das NICE spielen eine wichtige Rolle bei der Übersetzung der
Forschungsergebnisse in klinische Leitlinien. Es ist lebenswichtig, dass sie
ihre Entscheidungen nach einer sorgfältigen Prüfung der Gesamtheit der zur
Verfügung stehenden Daten. Sie müssen frei sein von politischen Interessen,
Lobbyinteressen, oder auch Medieneinfluss, auch wenn diese noch so gut
gemeint sein mögen. Die
Debatte um die Verfügbarkeit von Herzeptin für Frauen mit frühem Brustkrebs
erfodert kühlere Köpfe, als die bisher vorherrschenden, in der Politik, in der
Öffentlichkeit, und sogar auch in medizinischen Fachzeitschriften.
Das LANCET Pressebüro:
0044-20-74244949/4249 pressoffice@lancet.com
Vol 366 November 22,2005
www.thelancet.com Vol 366 November 22,2005
(Übersetzung)
Herzeptin und Früher Brustkrebs: ein Anlass zur Vorsicht
Es ist keine Überraschung,
dass Krebspatienten, gemeinsam mit führenden Krebsorganisationen, laut nach der
schnellen Zulassung von Medikamenten, die ihrer Meinung nach lebensrettend sein
können, rufen. So machte eine der Krebsorganisationen, Cancer Bacup, ein
„Dossier der Verzögerung“ aus bei den laufenden Zulassungsverfahren. Der
Hauptschuldige in Großbritannien soll hierbei das Nationale Institut für
Gesundheit und Klinische Excellenz (NICE) sein. Die Geschichte ist nicht so
einfach.
Unter beträchtlichem
politischem und medialem Druck haben das NICE und das Gesundheitsministerium
letzte Woche die Einführung eines beschleunigten Zulassungsverfahrens
angekündigt für die Prüfung neuer und potentiell lebensrettender Medikamente.
Fünf Arzneimitteln wurden für die Schnell-Zulassung ausgewählt: Trastuzumab
(Herzeptin®), docetaxel (Taxotere®) und paclitaxel (Taxol®) für Brustkrebs;
Rituximab (MabThera®) für Non-Hodgkin-Lymphome; und Bortezomib (Velcade®) für
Plasmozytom. Obwohl diese Entwicklung als gebotene Berücksichtigung des
öffentlichen Interesses gewertet werden kann, sollte nicht zugelassen werden,
dass die mühsam erkämpfte und sehr berechtigte Reputation des NICE für seine
Unabhängigkeit und wissenschaftliche Gründlichkeit damit unterlaufen wird.
Herzeptin ist ein Schlüsselfall.
Im März 2002 empfahl das
NICE Herzeptin für Frauen mit Her2-positivem metastasiertem Brustkrebs,
entweder als alleinige Therapie oder in Kombination mit Paclitaxel (Taxol®).
Das dieser Entscheidung zugrundeliegende Verfahren wurde als zu lang
kritisiert. Das NICE rechtfertigte den Zeitumfang, in dem es auf die
Notwendigkeit einer sorgfältigen und gründlichen Sichtung der verfügbaren Daten
durch ein unabhängiges Expertengremium hinwies. Die vornehmliche Aufgabe des
NICE sei es, verlässliche Richtlinien zu erlassen. Die Sprecherin erläuterte, dass
„wir es richtig fanden, dem unabhängigen Expertengremium, das das NICE berät,
die Zeit zu geben, die sie brauchten, um die Daten zu analysieren und zu
überprüfen, bevor sie uns ihre endgültige Empfehlung erteilten.“ Diese
Sichtweise ist sicherlich korrekt. Was immer die gefühlte Dringlichkeit sein
mag, ist es entscheidend, dass das NICE dem druck widersteht,
Ausnahme-Entscheidungen zu treffen.
Drei Jahre später umgibt
eine ähnliche, ja sogar noch intensivere Debatte die Anwendung von Herzeptin
bei frühem, nicht metastasiertem Brustkrebs. Vielversprechende Ergebnisse waren
zunächst auf dem diesjährigen Jahreskongress der American Assocation of
Clinical
Oncology (ASCO) präsentiert
worden. Eine sofortige Nachfragewelle setzte im Anschluss an diesen Kongreß
ein, obwohl weder Herzeptin für diese frühe Anwendung zugelassen noch der
Hersteller Roche Daten für die Beantragung einer solchen Zulassung eingereicht
hatte. In einigen Ländern, so in Frankreich, wurde das offizielle
Zulassungsverfahren umgangen, um Herzeptin sofort verfügbar zu machen. Im
Oktober wurden diese Studien im New England Journal of Medicine schließlich
veröffentlicht. In einem begleitenden Editorial beschrieb Dr. Gabriel
Hortobagyi die Resultate als „einfach atemberaubend“ und „revolutionär“. Er
ging so weit zu sagen, dass Herzeptin „möglicherweise sogar eine Heilung“ für
Brustkrebs bedeute. Selbstverständlich wurde dieser Kommentar sofort
aufgegriffen und weltweit verbreitet, was die Forderung nach einer raschen
Verfügbarkeit des Herzeptins anfeuerte.
Die bislang veröffentlichten
Studien stellen Zwischen-Auswertungen der Effektivität (interim-efficacy
analyses) dar. Wie Victor Montori et al. im amerikanischen Ärzteblatt (Journal
of the American Medical Association JAMA) der letzten Woche anmahnen, ergeben
diese Auswertungen oftmals überhöhte und nicht plausible Behandlungserfolge.
Sie empfehlen daher, dass „Ärzte die Ergebnisse solcher vorläufigen Studien mit
großer Skepsis betrachten sollten“. Die beiden Publikationen berichten
unterschiedliche Verabreichungen was
die Vergleichbarkeit und Schlussfolgerungen schwierig macht. Besonders
schwierig ist die Einzelbetrachtung der Ergebnisse jeder Studie, da eine der
Veröffentlichungen die Auswertung zweier durch die Firma Genentech finanzierten
Studien kombiniert. Obwohl die „gemeinsame Auswertung von beiden Studienteams
entwickelt und durchgeführt wurde“ wird nicht klar, ob diese kombinierte
Analyse von vornherein geplant war, Die Veröffentlichung berichtet lediglich,
dass die US FDA und das National Cancer Insitute die kombinierte Auswertung
genehmigten, was Anlass gibt zur
Vermutung, dass keine Studie alleine ein positives Ergebnis erbracht hätte. Die
Vergleichbarkeit ist darüber hinaus erschwert durch das Weglassen von
entscheidenden Daten zum gesamten und krankheitsfreien Überleben und über die
Kardiotoxizität. Es ist sehr wohl bekannt, dass Herzeptin schwere
Herzinsuffizienz bei manchen Patienten verursachen kann. Das Beste, was über
die Wirksamkeit und Sicherheit von Herzeptin in der Behandlung des frühen
Brustkrebses gesagt werden kann, ist, dass die heute verfügbare Evidenz
ungenügend ist, um eine verlässliche Bewertung vorzunehmen. Es ist mehr als
irreführend zu suggerieren, auch wenn rein rhetorisch, dass die publizierten
Daten den Beweis dafür liefern, dass hier eine Heilung für Brustkrebs gefunden
wurde..
Arzneimittel-Zulassungsbehörden
und Institutionen wie das NICE spielen eine wichtige Rolle bei der Übersetzung
der Forschungsergebnisse in klinische Leitlinien. Es ist lebenswichtig, dass
sie ihre Entscheidungen nach einer sorgfältigen Prüfung der Gesamtheit der zur
Verfügung stehenden Daten treffen. Sie müssen frei sein von politischen
Interessen, Lobbyinteressen, oder auch Medieneinfluss, auch wenn diese noch so
gut gemeint sein mögen. Die Debatte um die Verfügbarkeit von Herzeptin für
Frauen mit frühem Brustkrebs erfordert kühlere Köpfe, als die bisher
vorherrschenden, in der Politik, in der Öffentlichkeit, und sogar auch in
medizinischen Fachzeitschriften
Download: lancet-herzeptin.pdf